(ip/RVR) Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erneut mit der Anfechtung von Auszahlungen einer mit einem sogenannten „Schneeballsystem“ arbeitenden Insolvenzschuldnerin an einen Anleger zu befassen (siehe Entscheidung BGHZ 179, 137). Die Einlagezahlung des Anfechtungsgegners sei nicht mit dem aus der anfechtbaren Auszahlung von Scheingewinnen resultierenden Rückgewähranspruch saldierbar. Hat dieser aber aufgrund einer solchen Auszahlung steuerliche Lasten zu tragen, könne er sich insoweit auf Entreicherung berufen.

Die spätere Schuldnerin bot ihren Kunden die Möglichkeit per Anlegergemeinschaft an Optionsgeschäften teilzunehmen und versprach jährliche Renditen zwischen ca. 8 und 14 %. In Wirklichkeit funktionierte das Einlagesystem in der Art eines betrügerischen „Schneeballsystems“ für Aus- und Rückzahlungen an Altkunden, wobei Neukunden mit frei erfunden Gewinnen bei Laune gehalten wurden, was insgesamt zur Sittenwidrig- und Nichtigkeit der Beitrittsverträge führte.

Der Beklagte leistete 1996 eine Einlage von 15.338,76 € und ein Agio von 997,02 €. Er erhielt im Dezember 2001 eine Auszahlung von 14.316,17 € und am 31. Oktober 2002 eine Auszahlung von 5.000 €.

Im Juli 2005 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter eingesetzt. Wegen eines Betrages von 3.977,41 € (Differenz zwischen den an den Beklagten geleisteten Auszahlungen und seiner um das Agio reduzierten Einlage) nimmt er den Beklagten gesondert in Anspruch.

Die vorliegende Klage stützt er auf Insolvenzanfechtung gemäß § 134 Abs. 1 InsO. Sie basiert auf einer Neuberechnung des realen Kontostandes des Beklagten unter Berücksichtigung der Auszahlungen. Daraus ergab sich ein Scheingewinn von 13.100,40 €. Er macht die Differenz in Höhe von 9.122,99 € zwischen diesem Betrag und dem anderweitig rechtshängigen Betrag von 3.977,41 € zuzüglich Zinsen geltend.

Das Landgericht gab der Klage statt, das in der Berufung erkennende Oberlandesgericht hingegen wies die Klage ab. Die Revision führte zur Aufhebung der Berufungsentscheidung.

Der erkennende Senat bestätigte das Berufungsgericht zunächst in seiner Auffassung und Würdigung des Sachverhalts, die Auszahlung sei als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar und sei auf Scheingewinne und nicht auf die Einlage des Beklagten vor etwa zehn Jahren erfolgt. Weiter sei auf den Rückgewähranspruch des Verwalters § 143 Abs. 2 Satz 1 InsO anzuwenden, welcher auf § 818 Abs. 3 BGB verweist, wonach sich der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung grundsätzlich auf Entreicherung berufen kann. Das Berufungsgericht meinte nun, im Rahmen von § 818 Abs. 3 BGB sei auch im Insolvenzrecht die Saldotheorie anzuwenden, wonach die Einlage dem Rückzahlungsbegehren entgegenzusetzen sei, die beiden Ansprüche mithin zu saldieren seien.

Dem hat sich der IX. Zivilsenat nicht angeschlossen. Vielmehr sei die Saldotheorie im Insolvenzrecht nur eingeschränkt anwendbar. Dazu führt er in Rz. 8 der Entscheidung aus: „Die Saldotheorie bietet keine Grundlage dafür, Forderungen, die ohne eine Saldierungsmöglichkeit Insolvenzforderungen wären, zu Masseforderungen zu erheben. Leistungen, die nicht in einem synallagmatischen Verhältnis stehen, sollen nicht durch Saldierung in ein Gegenseitigkeitsverhältnis gebracht werden können, welches dem anderen Teil mehr Rechte verschafft, als ihm nach dem Insolvenzrecht zustünden.“ Bei Anwendung der Saldotheorie liefe zudem in solchen Konstellationen das Anfechtungsrecht regelmäßig leer. Die Einlage des Anfechtungsgegners könne deshalb nicht berücksichtig werden, weil sie zur Gewinnauszahlung in keinerlei Austauschverhältnis stehe. Dieses könne nämlich bei einem Anlagemodell, das auf Täuschung der Anleger beruht, erst recht nicht angenommen werden. Der Anfechtungsgegner müsse seinen Rückgewähranspruch als Teil seines Schadensersatzanspruchs nach § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO als Insolvenzforderung geltend machen.

Schließlich spreche auch der Grundsatz der par condicio creditorum (Gläubigergleichbehandlung) gegen die Saldierung. Diejenigen Anleger, die früher eine Einlage erbrachten und noch in den Genuss einer Ausschüttung kamen, könnten auch noch innerhalb der Anfechtungsfrist die gesamte Masse schmälern, während die späteren Anleger wegen des Zusammenbruch des Schuldners leer ausgingen.

Ergänzend weist das Gericht noch darauf hin, dass der Anfechtungsgegner sich insoweit auf Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen könne, als es für ihn durch die ausbezahlten Scheingewinne zu einer endgültigen steuerlichen Mehrbelastung gekommen sei.

BGH vom 22.04.2010, Az. IX ZR 163/09


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