(ip/RVR) Nach einem Urteil des IX. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes vom 23.09.2010 ist von einer Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO auch dann auszugehen, wenn dritte Gläubiger vor der anfechtbaren Rechtshandlung in Form einer Banküberweisung faktisch kaum auf das schuldnerische Konto zugreifen können. Weiter läge kein Fall eines Bargeschäfts im Sinne von § 142 InsO vor, wenn der Schuldner im Namen und für Rechnung des Anfechtungsgegners dessen Eigentum veräußert und die zunächst für fremde Rechnung vereinnahmten Barerlöse nach Einzahlung auf seinem allgemeinen Geschäftskonto an den Anfechtungsgegner überweist.

Geklagt hatte ein Insolvenzverwalter gegen ein Mineralölunternehmen auf Rückzahlung von Agenturerlösen aufgrund von Insolvenzanfechtung. Die Gemeinschuldnerin stand mit der Anfechtungsgegnerin bis 1. Juni 2002 dergestalt in Geschäftskontakt, dass sie als durch Provisionen vergütete Handelsvertreterin der Beklagten in deren Namen und für deren Rechnung Kraftstoffe und Motoröle verkaufen sollte. Die Erlöse für die verkauften Produkte sollten - von sonstigen Kassenbeständen gesondert verwahrt - unmittelbar in das Eigentum der Beklagten übergehen. Nach Eintritt wirtschaftlicher Schwierigkeiten einigte man sich zusätzlich darauf, dass der Schuldnerin ein Agenturbestand im Wert von 60.000 € zur Verfügung gestellt werden solle und sie im Gegenzug täglich über die Agenturerlöse abrechne, die am Vortag eingenommenen Erlöse nach Abzug der Provision auf ein Konto der Beklagten abführe und die jeweilige Zahlung mittels einer Bankbestätigung nachweise.

Am 1. April 2002 trat bei der Schuldnerin Zahlungsunfähigkeit ein. Bis 1. Juni 2002 wurden aber weitere Agenturerlöse an die Beklagte abgeführt. Das LG gab der Klage in erster Instanz statt. Auf Berufung der Beklagten hob das OLG das Urteil auf und wies die Klage ab. Mit der Revision erreichte der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Das OLG wies die Klage mit der Begründung ab, die Agenturerlöse hätten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ohnehin nicht dem Zugriff der Gläubiger zur Verfügung gestanden, mithin sei gar keine Gläubigerbenachteiligung eingetreten. Außerdem sei § 142 InsO entsprechend anzuwenden, weil die Schuldnerin mit der Verfügungsbefugnis über den Agenturbestand eine äquivalente Gegenleistung erhalten habe, die Überweisung als Bargeschäft also unanfechtbar sein solle.

Der BGH sah dies anders. Der Bejahung einer Gläubigerbenachteiligung stehe nicht ein etwaiges Aussonderungsrecht der Beklagten entgegen. Spätestens mit Einzahlung auf das Bankkonto erwerbe die Bank das Eigentum an dem Bargeld wenigstens gutgläubig.

Da die Schuldnerin die Gelder vereinbarungsgemäß zunächst auf ihr eigenes Konto einzahlte – nicht etwa auf ein Anderkonto – gelangte es zunächst in deren Vermögen. Damit liege in der Auskehr der Gelder eine die Gläubiger benachteiligende Deckungshandlung im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Unbeachtlich sei hingegen, ob durch die zeitliche Komponente – der kurze Zeitraum zwischen Einzahlung und Überweisung an die Beklagte – der Zugriff auf das haftende Vermögen erschwert würde. „Eine Gläubigerbenachteiligung kann gerade in dem mit der angefochtenen Rechtshandlung verbundenen erschwerten Zugriff auf einen Vermögenswert des Schuldners liegen“ (Rz. 22 der Entscheidung).

Die Annahme eines Bargeschäfts scheitere bereits an einer vom Wortlaut des § 142 InsO verlangten Vereinbarung des Leistungsaustausches zwischen Schuldnerin und Beklagten:
„Allein mit der faktischen Lieferung der Kraftstoffe an die Schuldnerin konnte die Beklagte keine Erlöse erwirtschaften; vielmehr musste der Verkauf an und die Bezahlung durch die Tankkunden hinzutreten. Deshalb scheidet eine Willensübereinstimmung der Parteien aus, dass bereits durch die Lieferung der Kraftstoffe an die Schuldnerin die Erlöse dem Vermögen der Beklagten zugeführt werden“ (Rz. 28 der Entscheidung).

Aber auch an einer Gegenleistung an sich fehle es nach Meinung des erkennenden Senates: „Um ein Bargeschäft annehmen zu können, muss die Gegenleistung […] Bestandteil des schuldnerischen Aktivvermögens werden“ (Rz. 30 der Entscheidung). Daran fehle es hier, weil die gelieferten Bestände nie in die Vermögenssphäre der Schuldnerin gelangt seien, sondern von dieser nur im Namen der Beklagten direkt an den Endkunden veräußert wurden.

Auch die einbehaltenen Provisionsbeträge stellten keine äquivalente Gegenleistung dar, denn „die Provisionen sind […] die Gegenleistung für die Mitwirkung des Handelsvertreters beim Abschluss von Geschäften (§ 86 Abs. 1 HGB) und nicht für die abgeführten Verkaufserlöse“ (Rz. 32).

BGH vom 23.09.2010, Az. IX ZR 212/09

 

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