(ip/RVR) Mit einem Beschluss vom 15. Juli äußerte sich der Bundesgerichtshof durch seinen IX. Senat zu mehreren Fragen bezüglich der Wirksamkeit der Aufhebung eines Insolvenzverfahrens, sowie zur Unzulässigkeit einer Nachtragsverteilung für den Fall, dass der Schuldner glaubhaft machen kann, das Verfahren sei nicht aufzuheben, sondern wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes einzustellen gewesen.

Das Insolvenzgericht kündigte dem Schuldner die Restschuldbefreiung an. Am 11. Januar 2007 beschloss es die Verfahrensaufhebung. Am selben Tag verstarb der Vater des Schuldners, wodurch letzterer Erbe eines Grundstücks wurde, dessen realisierbarer Wert nach Ansicht der Treuhänderin zur vollständigen Befriedigung aller Gläubiger ausreichte. Das Gericht ordnete die Nachtragsverteilung an. Dagegen wandt sich der Schuldner mit der Behauptung, nach Ankündigung der Restschuldbefreiung komme eine Nachtragsverteilung nicht in Frage, es sei vielmehr nach § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu verfahren. Dem schloss sich das Beschwerdegericht an, unabhängig davon, dass der Erbfall vor der Wirksamkeit der Verfahrensaufhebung eingetreten sei. Für die Wirksamkeit stellte das Beschwerdegericht auf den Zeitpunkt zwei Tage nach der Veröffentlichung am 15. Januar 2007 ab (also 18. Januar 2007; § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO). Es hob deshalb die Nachtragsverteilung auf. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Treuhänderin führte zur Aufhebung dieser Entscheidung.

Zunächst stellte der IX. Senat klar, dass eine Erbschaft unabhängig von der Ankündigung der Restschuldbefreiung in die Masse falle, solange nur das Verfahren noch nicht beendet sei. Dies sei den §§ 35, 36 InsO zu entnehmen. Die Obliegenheiten des § 295 InsO träfen den Schuldner hingegen erst mit Aufhebung des Verfahrens.

Sodann äußerte sich der BGH zur umstrittenen Frage der Wirksamkeit des Aufhebungsbeschlusses. Entgegen dem Beschwerdegericht sei nicht auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung. Ein allgemeiner Grundsatz, wonach nicht verkündete Entscheidungen, deren öffentliche Bekanntmachung vorgeschrieben ist, erst mit dieser Bekanntmachung wirksam werden, kenne die Insolvenzordnung nicht. Da die Frage schon zu Zeiten der Konkursordnung bestanden habe, wäre eine Klarstellung des Gesetzgebers zu erwarten gewesen, entspräche ein solcher Grundsatz dem Regelungsplan des Normgebers. Das Fehlen einer vergleichbaren Regelung des § 27 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 InsO für den Eröffnungsbeschluss für den Fall der Verfahrenbeendigung ließe nicht den Schluss zu, es komme für die Wirksamkeit auf die öffentlich Bekanntmachung an. Vielmehr sei im Rahmen des Schuldnerschutzes anzunehmen, die Insolvenzbefangenheit dürfe nicht länger als durch die Verfahrenzwecke geboten andauern, was wiederum eine frühzeitige Wirksamkeit der Verfahrensaufhebung legitim erscheinen lasse. Aus diesen Gründen sei für die Wirksamkeit der Verfahrensaufhebung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung abzustellen.

Komme es am Tage der Beschlussfassung zu einem Vermögenszufluss, komme sowohl eine Nachtragsverteilung oder - im Falle einer Erbschaft und Ankündigung der Restschuld-befreiung - eine Herausgabepflicht nach § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO in Betracht, je nach dem, ob der Zufluss zeitlich vor der Beschlussfassung oder danach eingetreten sei. Diese Regelungslücke könne aber durch eine entsprechende Anwendung des § 27 Abs. 3 InsO geschlossen werden. In casu habe das Beschwerdegericht nach Zurückverweisung deswegen zu ermitteln, ob der Erbfall vor oder nach der Mittagsstunde des 11. Januar 2007 eingetreten sei.

Stelle sich heraus, dass die Erbschaft als Neuerwerb Massebestandteil wurde, hinge die Zulässigkeit der Nachtragsverteilung von den weiteren Anträgen des Schuldners ab. Aufgrund des Umfangs der Erbschaft hätte dem Schuldner die Glaubhaftmachung des Wegfalls der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit gelingen können. Da das Verfahren bereits aufgehoben war, war dem Schuldner zwar der Antrag auf Einstellung des Verfahrens wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes nach § 212 InsO verwehrt. Gleichwohl könne er der Nachtragsverteilung mit der Glaubhaftmachung der Voraussetzungen des § 212 InsO entgegentreten, weil das Bedürfnis nach insolvenzmäßiger Gläubigerbefriedigung durch Nachtragsverteilung bei Zahlungsfähigkeit entfalle.

Stelle der Schuldner nun einen solchen Antrag sei darin aber zugleich notwendigerweise die Rücknahme seines Antrags auf Restschuldbefreiung trotz deren rechtskräftiger Ankündigung zu sehen. Letztere führt zu einem Vollstreckungsverbot nicht vollständig befriedigter Gläubiger, §§ 289 Abs. 1, 294 Abs. 1 InsO, weshalb ihnen weitere Befriedigung nur über die Nachtragsverteilung möglich wäre. „Wenn der Schuldner infolge Neuerwerbs während des Verfahrens wieder zahlungsfähig geworden und sowohl willens als auch imstande ist, alle seine Verbindlichkeiten demnächst außerhalb des Insolvenzverfahrens zu berichtigen, kann die soziale Rechtfertigung einer Schuldbefreiung nicht mehr greifen“ (Rz. 15 der Entscheidung).

BGH vom 15.07.2010, Az. IX ZB 229/07


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